Colette in Paris: Ein Dokumentarfilm über den Pariser Kult-Laden (2024)

Colette in Paris: Ein Dokumentarfilm über den Pariser Kult-Laden (1)

«Colette, mon amour»

Marc Zitzmann Mode

Zwischen 1997 und 2017 war der Concept Store an der Pariser Rue Saint-Honoré das Zentralgestirn einer Galaxie von Künstlern und Fashionistas. Eine filmische Hommage.

Dieser Laden ist das Kind einer Zeit, die Vertreterinnen und Vertreter der Generation Z nicht gekannt haben. Als Colette 1997 an der Pariser Rue Saint-Honoré eröffnet wurde, war das Konzept des «Concept Stores» noch wenig bekannt. Zwar hatte Carla Sozzani schon 1991 in Mailand eine solche Mischung aus Galerie, Modeboutique und Designgeschäft gegründet. Aber Colette, dessen Motto «styledesignartfood» lautete, machte das Konzept weltbekannt.

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In Paris gibt es den Louvre – und Colette

«Le Monde» schwärmte gar vom «angesagtesten Laden des Sonnensystems». Und definierte diesen als «die ISO-Norm der Trendigkeit für Marken, und eine Höllenmaschine der Überschuldung für Fashionistas». Gallische Vollmundigkeit? Ein Star aus Übersee, Pharrell Williams, urteilte kaum weniger definitiv: «In Paris gibt es den Louvre – und Colette.»

Im Erdgeschoss der 700Quadratmeter grossen Boutique fand man Streetwear, Bücher, CDs sowie technische Gadgets. Im Obergeschoss eine wöchentlich wechselnde Auswahl von Designerkleidern, einen Kosmetik-Corner sowie eine kleine, feine Galerie. Im Untergeschoss endlich ein Restaurant mit täglich wechselndem Menu und eine «Water Bar» mit über neunzig Mineralwassern aus der ganzen Welt (wer jetzt kichert, outet sich als Philister).

Ein Traumreich des Kommerzes, dessen Kassen nie zu klingeln aufhörten

Das Sortiment vereinte nicht das Teuerste, sondern das Tollste. Die Preisspanne reichte von quasi nichts bis fast unendlich, das Angebot vom fischförmigen Küchenschwamm bis zum diamantbesetzten Smartphone. Oberstes Auswahlkriterium war, was die Franzosen «pointu» und die Angelsachsen «edgy» nennen – und wofür es im Deutschen kein rechtes Äquivalent gibt: eine Mischung aus avantgardistischem Design, zukunftsweisender Technik und undefinierbarer Kult-Qualität.

Bei Colette konnte man schwarzes Mineralwasser und Schmuckaufsätze für Schuhbändel finden, vor allem jedoch exklusive Sondereditionen in winzigen Auflagen: Sneakers und Smart-Autos, eine Frakta-Tasche von Ikea und ein Carré von Hermès. Als ein kalifornischer Technologieriese mit Apfel-Logo 2014 seine erste Armbanduhr vorstellte, wählte er dafür Paris – und zwar die Adresse «213Rue Saint-Honoré».

Die Schliessung kam wie ein Donnerschlag

Das also war Colette: ein Traumreich des Kommerzes, dessen Kassen nie zu klingeln aufhörten. Tagsüber spazierten oder sprinteten zwischen tausend und viertausend Besucher durch die Boutique, nachts ging der Verkauf im Netz weiter. 2016 betrug der Umsatz stolze 26Millionen Euro – doch dann wurde aus heiterem Himmel die Schliessung für Ende 2017 angekündigt. Ein Donnerschlag im Mikrokosmos.

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«Colette, mon amour», der einstündige Dokumentarfilm, den Hugues Lawson-Body jetzt dem Konsumtempel widmet, beginnt mit einer (Stil-)Blütenlese aus den sozialen Netzwerken. Man findet in den Reaktionen auf die angekündigte Schliessung die übliche Mischung aus «Frenglisch», Grossbuchstaben und Theatralik – «Ma vie est fini» schreibt etwa jemand ebenso dramatisch wie ungrammatisch.

Doch die im Anschluss befragten Berühmtheiten zeigen sich kaum weniger niedergeschmettert. Das Aus für den Laden, ächzt beispielsweise der Pariser Stargalerist Emmanuel Perrotin, sei zwar nicht der 11.September, aber doch ein Schock!

Karl Lagerfeld schaute jede Woche rein

Zu schreiben, dass viele an dem Concept Store hingen, wäre eine krasse Untertreibung. Ein Kunde parkierte einmal vier Tage und Nächte vor dem Eingang, um sich ein Paar der legendär gewordenen Sneakers «Stan Smith for Colette» zu sichern. Ein anderer taufte seine Tochter «Colette» – offiziell der 1954 verstorbenen Schriftstellerin zu Ehren, offiziös jedoch aus Liebe zur Boutique. Karl Lagerfeld schaute jede Woche herein.

Zu klassischen Ballettklängen lupft der Film den Vorhang und blickt hinter die Kulissen. Wir schauen Angestellten zu, wie sie Fenster putzen, Kleider bügeln, Geländer wischen und Glasrahmen abstauben. Persönlichkeit und Leidenschaft seien für ihre Anstellung die Hauptkriterien gewesen.

Kurz vor der Schliessung am 20.Dezember 2017 vereint der Filmemacher diverse Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bewegten Gruppenbildern. Sie führen vor Augen, was für grundverschiedene Menschen hier Seite an Seite arbeiteten.

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Von den uniformierten Möchtegernmodels der umgebenden Luxusboutiquen war man bei Colette weit entfernt – jeder stylte sich, wie er wollte. Etliche entstammten sozial benachteiligten Banlieues und machten im Viertel den Effekt exotischer Farbtupfer. Manche waren die vollen zwanzig Jahre mit dabei, wie Marco Giami, der Manager der «Water Bar» – seine Frau, Hélène, hatte sogar schon lang vorher für die Namengeberin der Boutique gearbeitet, seit ihrer Volljährigkeit!

Und da ist sie auch schon, die mythische Colette, mit Familiennamen Roussaux. Sie hat kurzgeschnittenes Haar, mit dem Stift gezeichnete Brauen, die Stimme und Figur eines «titi parisien», eines hauptstädtischen Strassenspatzen. Ihre bald siebzig Jahre sieht man ihr nicht an, wie auch kein Nichteingeweihter ahnen könnte, dass die rührige kleine Dame, die da Kartons entsorgt oder an der Kasse steht, den angesagtesten Laden des Sonnensystems mitgegründet hat.

Aufhören, wenn es am besten ist

Ihr zur Seite sitzt die andere Teilhaberin, ihre Tochter, Sarah Andelman: ein rundes Gesicht mit straffen Zügen und wenig Kanten – man kann sich beide gut in einem Kostümfilm vorstellen, als reservierte Nonnen oder geschäftige Mägde. Roussaux und Andelman sind notorisch pressescheu, und tauen auch im Interview mit Lawson-Body nicht ganz auf. Dafür sieht man sie bei der Arbeit: Die Mutter war für Personal und Verwaltung zuständig, die Tochter für Einkauf und Events.

Andelmans Ehemann, Philip, gibt einen Einblick in die unmenschliche Arbeitslast, die beide über Jahrzehnte hinweg auf ihre schmalen Schultern luden. Er schätzt, dass seine Frau im Schnitt drei Stunden pro Nacht schlief – «doppelt so viel wie ihre Mutter!».

Auf der Höhe des Ruhms und Erfolgs beschloss das Zweigespann, den Schlussvorhang fallen zu lassen. Roussaux hatte da längst das Rentenalter überschritten, Andelman war Mutter geworden. Beiden hätte es das Herz gebrochen, den allfälligen Niedergang ihrer Boutique erleben zu müssen.

Was bleibt, sind Farben – das «Colette-Blau», Pantone 293c. Düfte – das Raumparfum «Air de Colette» mit seinen Feigennoten. Und Bilder – in der Erinnerung für jene, die das Glück hatten, den Laden zu kennen, im vorliegenden Film für alle anderen.

«Colette, mon amour»

Wo schauen?

Für die Filmproduktion wurde eine eigene Webseiteerrichtet. Der Film kann dort direkt gekauft werden.

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