Queen-Bee-Syndrom: Bienenkönigin? Welche Bienenkönigin? (2024)

Männer fördern Männer – und Frauen? Behindern sich im Beruf oft gegenseitig. So lautet zumindest eine Erklärung, die man immer wieder hört, wenn man versucht zu verstehen, warum es so wenige Frauen in Führungspositionen gibt. Doch diese Behauptung ist falsch,kontraproduktiv und frauenfeindlich, schreiben die Professoren Fabiola H. Gerpott und Ralf Lanwehr in diesem Gastbeitrag.

Carolin Kebekus hat mit Es kannnur eine geben ein bemerkenswertes Buch geschrieben. Kebekus zeigt darinmit dem ihr eigenen Humor die systematische Benachteiligung von Frauen auf undidentifiziert eine daraus resultierende fatale Stutenbissigkeit. IhreEmpfehlung: eine größere Solidarität unter Frauen. Das Buch hätte sie jedochbesser gelassen, denn in Summe dürfte es mehr Schaden anrichten als Nutzenstiften. Die auf Basis der Analyse verbreiteten Narrative sind falsch,kontraproduktiv und frauenfeindlich – und das ist tragisch, denn das Buch von Kebekusist eigentlich ein sympathisches, persönliches und mutiges Werk, verfasst mitoffenkundig besten Absichten. Aber der Reihe nach.

Die zentralen Erzählungen desBuches sehen wir direkt auf Vorder- und Rückseite abgebildet. Auf dem Coverthront Kebekus in der Pose einer Herrscherin, ihre Kleidung ist königlich.Kebekus trägt Krone, über die Lehne ist ein Hermelinmantel geworfen. Kebekus'Blick richtet sich machtbewusst auf die Untertanen. Das Bild vermittelt: DieseFrau hat es geschafft, sie ist "die Eine" – die nun erhaben hinab aufs Volkschaut.

Aufstieg ist für Frauen mit enormen Hürden verbunden

Es ist dieser Teil des Buches, dernachvollziehbar, eindrücklich und gut belegt daherkommt. Der Aufstieg ist fürFrauen noch immer mit enormen Hürden verbunden – neben Anekdoten, Märchen undeigenen Erfahrungen führt Kebekus auch viele Daten an. Sie weist auf krasseMissstände hin, kritisiert ihre eigene Branche hart und spricht auchpersönliches Fehlverhalten bemerkenswert offen an. Dieser Teil ist gelungen, imtypisch rotzigen Stil von Kebekus verfasst, dabei zugleich nachvollziehbar undeindringlich.

Problematisch wird es bei denSchlussfolgerungen und Empfehlungen. Auf der Rückseite des Buches streckt unsKebekus den Mittelfinger entgegen, und zwar gleich zweifach. Damitversinnbildlicht sie ihre Problemanalyse: das Mobbing von oben durch Frauengegen Frauen. Kebekus nutzt auch hier unterschiedliche Anekdoten, um die vonihr wahrgenommene "ständige Konkurrenz unter Frauen" anzuprangern. Was sichparallel jedoch zwischen den Zeilen lesen lässt: Ihre persönliche Erfahrung isteigentlich eine andere. An verschiedenen Stellen im Buch verweist Kebekus aufpositive Erfahrungen, die sie in der Zusammenarbeit mit anderen weiblichenComedians machen durfte. Das geht bis zur Forderung: "Wir müssen (…) uns nichteinreden lassen, wir wären stutenbissig." Es ist schade, dass sie vor diesemHintergrund nicht stärker auf ihre Intuition gehört hat.

Der doppelte Mittelfinger vonFrauen gegen Frauen hat in der Psychologie einen Namen: Queen-Bee-Effekt, das"Bienenkönigin-Syndrom". Damit ist gemeint, dass Frauen in Führungspositionendazu tendieren, den Aufstieg anderer Frauen zu behindern. Das kann durchsubtile Signale der Abgrenzung von anderen Frauen geschehen, durch einebesonders maskuline Selbstpräsentation oder durch ein aktives Stützensexistischer Hierarchien. Bereits 1974 wurde der Begriff der Queen Bee geprägtund in Untersuchungen bestätigt.

Seit einigen Jahren kommen in derPsychologie jedoch große Zweifel auf, ob solche vermeintlichen Wahrheitentatsächlich so unumstößlich sind wie gedacht. Versucht man Phänomene wie dasBienenköniginsyndrom mit neueren Methoden zu messen, zeigt sich: Die Wahrheitist eine andere. Das liegt daran, dass Forschende lange darüber hinweggesehenhaben, dass die Beobachtung von Verhalten leider nicht so präzise möglich istwie bei naturwissenschaftlichen Phänomenen. Geschwindigkeiten, Herzraten undRegenmengen lassen sich offensichtlich leichter messen als ein Queen-Bee-Effekt.Andere Einflussfaktoren – wie strukturelle Diskriminierung oderPersönlichkeitsmerkmale – können zum Beispiel oft mehr erklären als dieTatsache, dass jemand eine Frau ist. Aber die Story ist halt schön einfach:Wenn man sonst nichts in den Daten findet, was interessant klingt, dann suchtman einfach mal nach Geschlechtseffekten. Die erzeugen wenigstens ordentlichMedienecho.

Zusammenhänge, die gar nicht existieren

Wenn Befragungen nicht richtigausgewertet werden, besteht die Gefahr, alle möglichen Zusammenhänge zu"entdecken", die aus verschiedenen Gründen gar nicht existieren.Scheinkorrelation nennt man das. So lässt sich zwar, um ein populäres Beispielanzuführen, ein lokaler Zusammenhang zwischen der Anzahl der Störche und derGeburtenrate finden. Aber der eigentliche Grund liegt in derIndustrialisierung, denn in städtischen Regionen werden weniger Babys geborenund dort nisten logischerweise zugleich auch weniger Störche. Die Störchebringen also nicht die Babys.

Durch die Möglichkeit neuerTestmethoden ändert sich die Sichtweise der Forschung zunehmend. AngeblicheZusammenhänge, die durch einmalige Befragungen gefunden werden, lassen sichkaum noch publizieren. Aussagen wie "In einer Umfrage unter 100 Führungskräftenhaben wir herausgefunden, dass sich diejenigen, die mehr im Homeofficearbeiten, gestresster fühlen" finden sich vielleicht noch auf bunten Folien vonBeratungen – in der Forschung aber weiß man, dass noch sehr viele andereVariablen betrachtet werden müssen, um diese Aussage wirklich treffen zukönnen. Eventuell sind die Führungskräfte, die mehr im Homeoffice arbeiten,jene, die Kinder haben? Oder bleiben gestresste Personen vielleicht mehr zuHause?

Dass solch kritische NachfragenStandard werden, daran haben Joshua Angrist vom Massachusetts Institute ofTechnology (MIT), Guido Imbens aus Stanford und David Card aus Berkeleyentscheidend mitgewirkt. Die drei haben erarbeitet, wie sich Experimente unddamit kausale Wirkbeziehungen nicht nur im sterilen Labor, sondern auch in derWirklichkeit durchführen lassen. Dafür wurden sie in diesem Jahr mit dem Wirtschaftsnobelpreisausgezeichnet. Und, Sie ahnen es bereits: Wendet man ihre Methoden an,verschwinden die scheinbar kausalen Zusammenhänge zwischen Störchen und Babysebenso wie der Queen-Bee-Effekt.

Queen-Bee-Syndrom: Bienenkönigin? Welche Bienenkönigin? (2024)

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